Statement/Interview

von Bernd Benninghoff Fotos Stefan Marquardt

Wieviel Wohnlichkeit braucht das Büro?

Wieviel Wohnlichkeit verträgt das Büro, wieviel Büro-Sachlichkeit der Arbeitsplatz zu Hause? Und was bedeutet Freundlichkeit im Arbeitsumfeld? Mehr von Bernd Benninghoff, Professor für Raumentwurf, Möbeldesign und Materialtechnologie an der Hochschule Mainz Gestaltung, der unser neues Tischprogramm HAIMISH gestaltet hat.

HAIMISH ergänzt das Programm von VARIO. Ausgangsidee war, einen Arbeitstisch zu schaffen, der einen wohnlicheren Charakter hat. Aber was bedeutet das eigentlich?
Bernd Benninghoff: VARIO ist an mich herangetreten, weil es aktuell natürlich großen Bedarf an kleinen Arbeitsplätzen für Zuhause gibt. Bedingt durch die Pandemie und den Wandel unserer Arbeitswelt ist das Homeoffice seit anderthalb Jahren enorm in den Fokus gerückt. Beim Entwurf ging es mir darum, einen Tisch zu entwickeln, der durch die Auswahl der Materialien das Gefühl vermittelt, Arbeiten und Wohnen miteinander zu verbinden. Der Tisch soll leicht und selbsterklärend sein und über die Materialität die klassische Wohn-Atmosphäre spiegeln. Mir ging es auch darum, sich möglichst zu unterscheiden von den zahlreichen Office-Produkten, die es bereits gibt.

Wie kann man Unterschiede erschaffen?
Einen Tisch komplett neu zu erfinden, ist schier unmöglich - Arbeitstische gibt es bereits in allen Variationen. Deswegen waren mir qualitätsvolle Details wichtig, auch Accessoires und Anbauteile, die Zuhause individuelle Gestaltbarkeit ermöglichen. Die gefrästen Accessoire-Schalen aus Massivholz, die ich dazu entwickelt habe, sollen eine handwerkliche, wohnliche Note hinzufügen. So können die wichtigsten Utensilien unmittelbar auf dem Tisch verstaut werden, je nach persönlichem Bedarf. Ein zusätzlicher Schubcontainer ist somit nicht zwingend erforderlich. Die Kabelwanne sollte ganz einfach und intuitiv bedienbar sein - so wie man Zuhause eben selbst Kabel verzieht. Wichtig war mir auch die Haptik der Tischplatte. Die hochwertige Oberfläche fühlt sich nicht nur samtig an, sondern ist darüber hinaus auch robust und unempfindlich gegen Fingerabdrücke. Die Tischbeine sind nicht eckig, sondern rund. Die leicht ausgestellten Beine aus massivem Eichenholz verleihen Wohnlichkeit, Weichheit und auch etwas Handwerkliches, das man sehen und spüren kann.
 


Büromöbel sind in der jüngeren Vergangenheit teils cleaner geworden, auch im Hinblick auf das papierlose Büro. Was ist bei einem Arbeitstisch, der zu Hause steht anders als bei einem, der im Büro steht?
Zuhause soll es zwar auch aufgeräumt sein, darf aber auch ein bisschen improvisierter und in der Handhabung einfacher bleiben. Das erlebe ich in meinem persönlichen Arbeitsumfeld, das sich auch immer mal wieder anpassen und verändern muss. Mein Arbeitsplatz muss deshalb leicht und variabel sein. Wer hat Zuhause schon einen Bodentank? Die Steckdose ist in der Wand, und vielleicht will man den Tisch dann doch noch mal verrücken und woanders hinstellen. Zuhause will man die Dinge selber machen und ohne großen Aufwand ändern - das war durchaus der Hintergedanke beim Entwurf von Haimish.

Wieviel Büro braucht es zuhause? Wo verläuft die Grenze?
Das verstärkte Arbeiten im Homeoffice, nicht nur für ein, zwei Stunden, sondern oft über den ganzen Tag, wird auch nach der Pandemie verstärkt zu unserem Arbeitsalltag gehören. Ich bin davon überzeugt, dass sich in vielen Bereichen hybride Arbeitsmodelle durchsetzen werden. Deshalb muss ein Arbeitsplatz zu Hause auch eine gewisse Qualität haben, muss ergonomisch funktionieren, stundenlanges Arbeiten zulassen und auch technische, digitale Lösungen unterstützen. Die Kabelführung muss einfach aber überlegt sein, das Laden des Handys ohne großen Kabelsalat funktionieren und auch Verstauen und Organisieren muss der Tisch besser können als ein improvisierter Esstisch.
 

(Arbeitstisch HAIMISH: Tischplatte in frei wählbaren Größen von 800 bis 1600 mm Breite und 600 bis 1000 mm Tiefe, Höhe: 750 mm, alternativ mit elektrisch höhenverstellbarem T-Fussgestell. Supermatte Oberfläche in schwarz ode weiß. Konische Echtholzbeine aus Eiche geölt.)


Wie verändert sich im Gegenzug das Büro?
In meiner Wahrnehmung verschwimmen die Grenzen zwischen Büro und Wohnen immer stärker. Die klare Trennung in zwei Welten schwindet. Ein großer Bestandteil des Arbeitens ist mittlerweile Kommunikation. Interaktion findet verstärkt digital und ortsungebunden statt. Aber der große Bedarf an analoger, persönlicher Begegnung ist uns allen in den vergangenen Monaten wieder extrem deutlich geworden. Wenn man sich die neuen Bürolandschaften anschaut, dann fällt auf, dass diese inzwischen gezielt Attribute des privaten Wohnens aufgreifen. Wie in den eigenen vier Wänden gibt es Rückzugsorte, Treffpunkte, Teeküchen und "Fernsehzimmer" für Konferenzen. Die heimelig anmutende Wohlfühlatmosphäre wird unterstrichen durch natürliche Materialien – Massivholz und textile, weiche Oberflächen. Man fühlt sich fast wie Zuhause – allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass man hier seine Kolleginnen und Kollegen noch wirklich um sich hat. Und genau das hat uns – bei allen Vorzügen des Homeoffice – in den letzten Monaten doch am meisten gefehlt, oder?
Die Fragen stellte Simone Kaempf

BERND BENNINGHOFF ist Professor für Raumentwurf, Möbeldesign und Materialtechnologie an der Hochschule Mainz Gestaltung. Als Gestalter entwickelt er in seinem Büro Möbel, Raum- und Ausstellungskonzepte mit besonderem Interesse an neuen Materialien und Herstellungsverfahren.

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