Statement/Interview

Interview mit Michael Beckmann von Simone Kaempf

Tools, Skills und die Corona-Krise

Slack, Zoom, Trello – digitale Tools, die man zuvor halbherzig ausprobierte, sind über Nacht notwendig geworden, um die Arbeit zu organisieren. Alte Routinen mussten schnell über den Haufen geworfen werden. Hunderttausende arbeiten nun im Home-Office. Jetzt heißt es, sich in Video-Konferenzen zu besprechen, und zwar aufmerksam und wirksam.

Wie geht man vor, wie organisiert man sich? Michael Beckmann ist Coach, Trainer und Unternehmerberater mit Sitz in Frankfurt am Main. Mit Kollegen bietet er seit dieser Woche Notfallberatung via Telefon an und gibt Führungskräften Tipps, wie man mit der Situation umgeht und welche digitalen Tools jetzt nötig sind.

 

In welcher Lage befinden wir uns gerade?
Das große vorherrschende Thema ist die Unsicherheit. Kontrolle ist verloren gegangen. Kontrolle über geregelte Abläufe, über Routinen, die wir gewohnt sind. Wir müssen uns jetzt an etwas anderes anpassen und das auch noch selber gestalten. Was noch hinzukommt ist die Angst vor negativen Aussichten, denn wir verfügen über zu wenige gesicherte Informationen, um aussichtsreiche Perspektiven zu entwerfen. Führungskräfte müssen das unbedingt berücksichtigen, denn dieser Befund betrifft nicht nur Mitarbeiter, sondern gilt unbewusst auch für uns selbst. Notfallpläne sind nun an der Tagesordnung, doch, ehrlich, ihre Entwicklung und Pflege sind in normalen Zeiten ein ungeliebtes Kind. Und jede Krise sieht natürlich auch noch anders aus. Gute Organisationen wissen das aber und haben Szenarien entwickelt. Was sich in Situationen wie dieser bewährt hat, sind Checklisten, die Teil jedes guten Notfallplans sind. Was muss ich als erstes tun? In der Regel sind das Ziele im Rahmen der Gesamtorganisation: Liquidität sichern, wie kommen wir in nächster Zeit finanziell über die Runden? Der zweite Punkt sind die Mitarbeiter selbst. Wer geht nach Hause? Wer bleibt als Notbesetzung. Das war zum Beispiel bei 9/11 in New York so, als in den betroffenen Unternehmen am Ground Zero 90 Prozent der Mitarbeiter nach Hause geschickt wurden und 10 Prozent fortan in Notfall-Locations arbeiteten. Jetzt ist es aber anders, die Hälfte ist ins Home-Office geschickt, während die andere Hälfte on-site weiterarbeitet. Und schließlich müssen wir uns ums Geschäft kümmern, unabhängig davon wo oder wie wir arbeiten, Kunden und Lieferanten wollen informiert sein.

 

Der jetzige Zustand bahnte sich über zwei Wochen an. Was sind konkrete Lösungen für das Versammlungsverbot, die Neu-Organisation von Arbeit und all dem, was damit einhergeht?
Eigentlich ist es ein Glückszustand, dass wir uns in Phasen vorbereiten konnten. Das muss man auch mal herausstellen. Sonst wäre es wahrscheinlich vielfach kopflos durcheinander gegangen. Dieser Zeitgewinn gibt uns eigentlich ein wenig Sicherheit. Wir durchleben nun drei Phasen wie bei einem U. Beginnend mit dem linken Teil fahren und rutschen wir in die Situation hinein; das geht eben häufig schnell und unangekündigt. Dann gelangen wir auf den Boden, das ist der Zustand, der für viele jetzt gerade eintritt, die neue Normalität, wir gewöhnen uns an das bislang Unbekannte. Und dann geht die Reise hoffentlich bald wieder nach oben und wir kehren aus dem Notfallzustand zurück in den Normalzustand. In der ersten Phase müssen wir rasch entscheiden, wie wir ab sofort miteinander umgehen und miteinander kommunizieren wollen. Für Führungskräfte hat sich bewährt, auch im Notfallszenario in fünf Dimensionen zu denken. Als erstes gilt es zu überlegen, welche Informationen muss ich meinem Chef mitteilen und welche Infos brauche ich von meinem Chef. Als zweites die Frage, wie geht es meinen Kollegen, meinen Partnern in der internen Prozesskette, was benötigen die von mir und was brauche ich von denen, wie tausche ich mich mit ihnen aus? Dritte Dimension: ich muss auch mit den Kunden und externen Partnern in Kontakt stehen, die wissen wollen, wie wir uns verhalten, und natürlich will ich auch wissen, wie es um unsere Kunden und deren Situation steht. Vierte Dimension: ich führe Mitarbeiter. Wenn ich die anderen drei Dimensionen durchdacht habe und weiß, wohin die Reise geht, muss ich auch mit meinen Mitarbeitern kommunizieren, deren Fragen hören und beantworten, mich um sie kümmern, Entscheidungen treffen und Abläufe ermöglichen. Die fünfte Dimension ist die Selbstführung und Selbstüberprüfung, wir müssen uns gesund und handlungsfähig halten. Dazu gehört auch ein professionelles Outfit im Home Office. Ich bin immer überrascht, wie in der Öffentlichkeit darüber berichtet wird: Menschen an Küchentischen oder auf der Couch lümmelnd, dabei gibt es doch auch für Home Office schöne und zugleich praktische Möbel.

All diese Fragen muss ich aufwerfen, um gute Entscheidungen treffen zu können. Das wichtigste an der Stelle ist, Strukturen zu bilden, die auch den Mitarbeitern weiterhelfen. Über welche Wege kommuniziere ich, wann und wie? Das kann zum Beispiel so aussehen, dass man Morgen-Meetings vereinbart, jedes Team trifft sich am Telefon oder über ein Tool, da kommen wir gleich drauf. Aus den agilen Methoden kennt man zum Beispiel Scrum, bei dem es ein Regelmeeting morgens 15 Minuten lang gibt. Da gibt es zwei, drei große Punkte, die diszipliniert besprochen werden. In Notsituationen wie jetzt braucht man in der Regel jedoch länger, aber diese Strukturbildung ist wichtig. Und, ja, all dies unter Einhaltung der erlassenen Auflagen.

 

Die Erfahrung dieser Tage zeigt, dass man bei Video-Meetings ein neues Gleichgewicht braucht aus der eigenen Gefühlslage und neuem effektiven Arbeiten. 

Hilfreich ist dafür ein guter Moderator, der um die Situation weiß, in der sich alle befinden. Wir sind in einer Situation, in der die vier unterschiedlichen Typen von Problemen, die wir kennen, derzeit parallel auftreten: einfache, komplizierte, komplexe und chaotische. Im Regelfall sind achtzig Prozent unserer Probleme simpel, der Rest verteilt sich. Im Moment mischt es sich kräftig, ein guter Moderator sollte sich darüber bewusst sein und Sprache, Klang und Tempo in Meetings regulieren und situativ anpassen. Und gerade jetzt ist eine ruhige Ausstrahlung natürlich wichtig!

 

Die Situation hat sich über Nacht verkompliziert, weil man digitale Tools verwenden muss. Slack, Video-Conferencing, Zoom, die Mehrheit hat das, Hand aufs Herz, vorher nicht so richtig systematisch angewendet.
Es gab tatsächlich eine gewisse Distanz dazu, auch wenn die Tools in bestimmten Kreisen verbreitet sind. Die Anwendung ist unterschiedlich kompliziert, man muss sich in mächtige Tools erstmal einarbeiten. Und die IT-Sicherheit ist auch ein Thema. Denn jetzt wird aus den Home-Offices auf vertrauliche Datenhaushalte zugegriffen.
 

Erleben wir gerade einen Digitalisierungsschub aus Not?
Ja, wahrscheinlich, jetzt kommt mit Macht, was seit Jahren gefordert wird: Gebt den Mitarbeitern mehr Freiheit und erlaubt ihnen, zuhause zu arbeiten. Das kann aber auch etwas Gutes haben. Wir wissen aus der Organisationsforschung, dass die Menschen zuhause mitnichten per se schlechtere Performer sind als im Büro.

Welche Tools brauchen wir jetzt?
Als erstes eine Kommunikationsplattform. Das kann zum Beispiel Slack sein. Wenn Sie so wollen ist das ein Chatroom, in dem man sich Gruppen zusammenstellt, in sogenannten Channels. In diesen Gruppen kommuniziert man untereinander wie im Chatroom. Die Ursprungsidee war mal, dass man Dokumente entwickelt in einer Zeitzone, sagen wir in Indien, und Stunden später in Europa daran weitergearbeitet wird. Dokumente und Themen können weitergereicht und nahtlos bearbeitet werden und alle Mitglieder eines Channels können alle Bewegungen im Channel einsehen und darauf zugreifen. Das funktioniert auch gut. Aber die Disziplin ist entscheidend. Man arbeitet in Gruppen und muss alle miteinbeziehen. Man kann auch Gruppen oder Dokumente teilen oder verbinden mit anderen Diensten, zum Beispiel mit Cloud-Diensten oder sozialen Netzwerken. Slack ist hochkompatibel mit vielen anderen Diensten.

 

Teams ist eine mögliche Alternative zu Slack.
Microsoft hatte vor einigen Jahren die Übernahme von Slack geplant, aber dann ein eigenes Tool entwickelt: Teams. Teams ist umfangreicher konzipiert und durchaus anspruchsvoll in der Nutzung. Mein Herz schlägt, abhängig vom Kontext, mal eher für Slack oder für Teams. Aber am Ende ist es eine Glaubensfrage. Wenn man zum Beispiel Microsoft anwendet und hostet, liegt es wohl nah auf Teams zu gehen.


Die Tools für Video-Konferenzen sind schlagartig wichtig geworden. Weil man jetzt verteilt über die verschiedenen Arbeitsplätze zusammentrifft. Es gibt eine ganze Reihe: Skype, webex, Zoom, Jitsi, go to meeting, Facetime und viele mehr. Einige sind gratis, andere nicht.  Wie unterscheiden sie sich? Was kann man dazu sagen?
Im Grundsatz geht es um zwei, drei Entscheidungen: das eine sind die Kosten, die meisten sind Fremium-Modelle. Kostenlos bekommt man den Standard, wenn man bezahlt, erhält man Extra-Leistungen. Ich bekomme damit aber, und das ist der zweite Punkt, nicht zwangsläufig eine bessere Qualität geliefert. Wenn die Applikationen mehr und mehr genutzt werden, werden auch ganz andere Bandbreiten aufgerufen. Vor einigen Tagen gab es von Netflix oder Youtube ja auch Ankündigungen, die Daten-Qualität zu drosseln, um Datenmenge und auch Energie zu sparen. Sollte die Qualität in einer Video-Konferenz abnehmen, hilft es manchmal schon, dass nicht jeder die Kamera anschaltet. Wir reden jetzt zum Beispiel über Zoom, das in aller Munde ist, weil es sehr stabil funktioniert und eine gute Synchronität zwischen Bild und Ton liefert. Es gibt aber wirklich eine Vielzahl von Produkten, Skype kennen die meisten, ebenfalls ein sehr ausgereiftes Produkt, skype for business ging kürzlich in Teams auf. Apples Facetime wird eher mobil für point to point sessions genutzt. Go to Meeting oder webex sind auch sehr ausgereift. Das sind für die jetzige Situation ausreichende Produkte, wenn man für den Augenblick davon ausgeht, dass sich im April spätestens Mai die Situation wieder lockern kann.

 

Was ist Trello?
Trello kann ich unbedingt empfehlen. Das funktioniert wie ein großes Board, ähnlich wie in Scrum genutzt, sieht wie ein Zettelkasten aus, ein Board, mit dem man Aufgaben verteilt, verwaltet und den jeweiligen Status abliest. Man sieht bildlich, welche Aufgaben die ganze Gruppe hat, das ist sehr übersichtlich. Bei Trello kann man wichtige Aufgaben, deren Status und die Zielerreichung immer sehr gut erkennen.

 

Welche grundsätzliche Etikette sollte bei Video-Konferenzen beachtet werden?
Bestimmte technische Regeln sollte man einhalten. Ich empfehle zum Beispiel die beliebten kabellosen Minikopfhörer abzulegen und lieber Kopfhörer mit Mikros samt Kabel zu nutzen, um stabile Tonqualität für alle zu gewinnen. Ich persönlich mag es gar nicht, wenn jemand von oben auf die Kamera und somit auf andere Teilnehmer runterschaut. Laptops kann man auch auf Augenhöhe aufstellen. Lieber kleine Meetings als zu große ansetzen, eine Agenda mitschicken und Zeitblöcke festlegen. Es braucht eine klare Regel, wer Moderator ist und nach welchen Regeln gesprochen und entschieden wird. Und wichtig ist, diese Regeln immer am Anfang durchzugeben. Belehrungen lieber sparen, man braucht auch nicht die großen Selbstdarsteller in Video-Konferenz-Runden. Damit man nicht durcheinander spricht haben viele dieser Anwendungen Chatleisten, über die man Kommentare geben kann. Raising Hands Symbole sind auch eine Möglichkeit, die Diskussion strukturiert zu führen. In angespannten Situationen wie jetzt sollte man auch den Fun nicht vergessen, herzhaft lachen ist auch hilfreich.

 

Zusammengefasst heißt das, man braucht ein System, mit dem man in der Gruppe kommuniziert, man braucht ein Video Conference System, vielleicht ein Aufgabenboard, die Datenkanäle, Datenablage sowie Zugriff auf die erforderlichen Datenbanken und bestimmte Etikette.
Das sind im Moment die definitiven Musts, neben dem Telefon natürlich.


MICHAEL BECKMANN, Jahrgang 1965, ist Dozent, Coach und Berater für Unternehmer mit Sitz in Frankfurt. Zuvor arbeitete er 25 Jahre im Investment-Banking.  

 

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