Wenn in einer digitaler werdenden Arbeitswelt auch das Umfeld digitaler wird und sich die Prozesse verändern, wie gehen wir dann mit digitaler und realer Co-Präsenz um? Wie können die virtuellen und physischen Räume besser verschmelzen?
Prof. Wolfgang Prinz: Was mir auffällt, und das haben auch unsere Umfragen ergeben, dass wir zwar die Arbeitstätigkeiten gut synchronisieren können über Teams oder andere Online-Tools, dass aber das ganze Unterschwellige, dieses Wahrnehmen von Schwingungen, das Wahrnehmen von sozialen Aktivitäten, von Anwesenheit und von Abwesenheit deutlich verloren geht. Was der Mensch normalerweise mitbekommt, wenn er mit Kollegen auf der Etage arbeitet und das, was er noch mitbekommt via Online-Präsenz - das ist genau das, was von vielen vermisst wird. Das Embodiment ist wichtig geworden, also wie verkörpern wie virtuell teilnehmende Personen im Raum? Wie erschaffen wir Ersatz für Körper? Bei den Talkshows hat man das relativ schnell rausbekommen, die Gäste, die nicht präsent sind, erscheinen auf einem Monitor hinter einem Stehpult und das ist der Versuch, diese Person in den Raum zu bringen. Genau so etwas müssen wir in Zukunft auch für Meeting-Räume schaffen.
Sie haben eben erwähnt, wie man in TV-Talkshows damit umgeht. Gibt es Ihrer Beobachtung nach noch andere Lösungen oder Ansätze?
Wir haben bereits vor 20 Jahren daran gearbeitet, Präsenz über kleine Geräte sichtbar zu machen, das waren zum Beispiel kleine Lego-Roboter, die auf dem Tisch standen, sich bewegten und aufgrund ihrer Bewegung sichtbar machten, was im virtuellen Raum passiert: Gibt es da neue Dokumente? Sind da Leute online? Haben die mir eine E-Mail geschickt? Wir haben dafür in einer 3D-Welt, die auf einem großen Monitor dargestellt wurde, Dokument-Räume aufgebaut wie in Städten mit Flächen, Plätzen und Häusern. Wenn man an den Dokumenten arbeitete, dann bewegte sich der eigene Avatar dahin. Und dann sah man auf einem Blick, wer gerade woran arbeitete. Das klingt natürlich nach Big Brother. Und man hat damals auch gesagt: Was soll das? "Tower – Theatre of work enabling relationship" hieß das von der EU geförderte Projekt mit der BBC und Architekten des University College London zusammen. Damals war die Notwendigkeit weniger klar. Jetzt denke ich oft, dass wir genau so ein Fenster in unsere virtuelle Arbeitswelt hinein bräuchten, um mitzubekommen, was andere gerade tun. Interessanterweise wird dieser Ansatz gerade unter dem Namen Metaverse von vielen Unternehmen aufgegriffen.
Heute versucht man zum Beispiel für informelle Teile von Online Konferenzen oder Meetings Umgebungen zu bauen mit Wonder.Me oder Mozilla Hubs. Jeder erhält einen Avatar und kann sich über die Kamera auch im Videochat treffen. Meiner Beobachtung nach wurde das während der Pandemie ausprobiert, aber verstetigt sich nicht.
Schön, dass das auch andere sagen. Ich habe auch mit Wonder.Me experimentiert. Das ist ein interessantes Overlay über Räume in Zoom oder Teams. Zoom hatte als erstes mit Breakout-Rooms gestartet, Teams zog dann nach, und Wonder.Me legt sich sehr schön mit dem User-Interface drüber. Anfangs dachte ich auch, wow, das ist es. Aber es verstetigt sich nicht. Man muss auch unterscheiden zwischen dem Synchronen wie es mit Wonder.Me erzielbar ist. Alle bewegen sich in einer Umgebung, die der Cocktailparty nachempfunden ist. Und dem Asynchronen, worauf ich eben hinauswollte: Ich bin eigentlich gar nicht mit den Kollegen synchron in einem Meeting, will aber trotzdem mitbekommen, was sie erledigt haben. Das Beispiel, das wir beim Nachdenken über Lösungen immer gebracht haben: Wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, dann gehe ich meistens herum und frage, was passiert ist und ich erhalte von den KollegInnen eine Zusammenfassung. Ein Art Storytelling über das, was passiert ist, wenn man mal ein, zwei, drei Tage nicht da war, das ist für das neue verteilte Arbeiten gar nicht schlecht. Als ob mir ein Agent erzählt, was passiert ist. Das für virtuelle Räume aufzubereiten, fände ich spannend.
(Bild oben und mitte: Screenshots der 2D-Umgebung im TOWER-Projekt, Avatare ließen sich darin in Dokumenten-Räumen bewegen wie in einer Stadt. Bild unten: Räume und Avatare in Mozilla Hubs Business aus dem Jahr 2021)
Das alles bedeutet mehr Kommunikation und Organisation von Information. Welche neuen Kompetenzen braucht es dafür? Wie schaffen wir es weiterhin, Informationen zu hierarchisieren und Nützliches von Nützlichem zu unterscheiden?
Das Problem ist derzeit die Überflutung. Am Anfang waren die Online-Räume noch übersichtlicher. Jetzt wird immer mehr angelegt. Irgendwann muss man dann auch trennen können und nicht mehr alles lesen wollen, was in den verschiedenen Chats passiert. Die Erwartungshaltung, dass alles, was irgendwo im Chat geschrieben wird, von allen gelesen wird, die ist falsch. Man muss die Medien in ihrer Wirkung und ihrem Nutzen unterscheiden. Für mich ist die eMail immer noch das Medium, mit dem ich die Leute direkt erreiche und im Chat kann ich etwas kundtun oder eine Diskussion starten. Diese Unterscheidungsfähigkeit kann eine persönliche Kompetenz sein oder eine Kompetenz, die man im Team als Konvention erlernen muss. Das hört auch nicht auf. Wir machen seit 30 Jahren Kommunikations- und Kooperations-Technologien und fragen uns immer wieder: wie nutzen wir das denn jetzt richtig? Wie ist unsere Ablage Struktur?
Heißt, jede Gruppe und jedes Team muss erstmal für sich herausfinden, wie es kommunizieren will?
Ja, man muss man erkennen, wenn ein Team in schwierige Situation gerät. Auf einmal bekommen nicht mehr alle alles mit und fragen nach, wo habt ihr das denn her. Oder einige fühlen sich abgehängt. Die Leitungsebene muss Antennen dafür entwickeln. Das beginnt auch schon mit dem Onboarding-Prozess. In den vergangenen zwei Jahren wurden neue Leute eingestellt, die nur virtuell dazugestoßen sind. Stellenweise ist das richtig schwierig, und da kommt es auf die Leute an, die man einstellt, und auf das Team, das erkennt, wo Hilfestellung nötig wird.
Was bedeutet das für die Unternehmen selber, für die Organisation und Strukturierung solcher neuen Prozesse?
Einerseits müssen die Unternehmen die technische Infrastruktur zur Verfügung stellen. Selbst heutzutage wehren sich immer noch Unternehmen gegen den Einsatz von Social Media im Unternehmen. Ich meine nicht Facebook, sondern interne Chaträume. Heißt, man muss die Offenheit haben, den Mitarbeitern die Kommunikationsmöglichkeiten zu geben. Und muss man die Führungskraft als Host daran teilhaben, mitmachen, reagieren. Wir haben in Projekten festgestellt, dass in solchen Chatrooms 50 Prozent non-work ist. Als Führungskraft muss man da oft weiterdenken und sagen, ja Gott sei Dank kommunizieren die wenigstens miteinander. Durch den Non-Work-Content erlangt so ein System überhaupt seine Bedeutung.
Heißt, man muss akzeptieren, dass es auch über online-Tools ein soziales Rauschen gibt?
Und sogar anstoßen. Wenn man diese soziales Rauschen in die betriebliche Kommunikation bringt, vermeidet man auch, dass es extern etwa in WhatsApp stattfindet.
Wie wird sich das Homeoffice in dem Zusammenhang weiter entwickeln?
Derzeit werden in den Firmen die Strategien fürs Frühjahr oder für den Sommer entwickelt. Das Homeoffice wird fester Bestandteil bleiben. Die Mitarbeiter verlangen oder erwarten das. Früher musste man gute Gründe finden, um die Arbeit im Homeoffice zu rechtfertigen. Heute muss man als Unternehmen gute Gründe finden, um die Mitarbeiter wieder ins Unternehmen zu holen. Die Beweis- und Begründungspflicht hat sich umgekehrt. Ich glaube definitiv an das, was auch schon in Diskussion ist: dass wir Tage im Homeoffice haben und tageweise im Büro arbeiten. Das sollten dann Kommunikations-Tage sein und es wäre gut, wenn dann alle kämen. Einige Unternehmen denken jetzt, sie könnten Fläche sparen. Nein, das Absurde ist natürlich, dass montags und freitags die Büros leerstehen und Dienstag bis Donnerstag alle da sind. Dafür braucht es andere Büro-Organisation mit weniger Einzel-Arbeitsplätzen und mehr kreativen Begegnungs-Raum.
Was sind gute Lösungen, um im Homeoffice Leben und Arbeiten zu integrieren?
Die festen Arbeitszeiten verwischen komplett, Anfang und Ende verändern sich, man nimmt sich mittags schon das erste Time-Out. Bei der Homeoffice-Umfrage, die wir gemacht haben, gaben 20 Prozent an, dass sie den Weg zur Arbeit vermissen. Man fragt sich natürlich, warum, wenn man eine drei-Viertel-Stunde im Stau steht. Aber vielleicht ist es die Zeit, auf dem Hinweg im Auto Radio zu hören und abends Musik. Dazu muss ich mich jetzt zum Beispiel zwingen. Diese Selbststrukturierung ist im Homeoffice wichtig. Dazu gehört auch, dass man feste Arbeitsplätze hat und nicht zu sehr in den Wohnbereich reingeht. Trennung scheint wichtig, den Rechner runterfahren, das Mobiltelefon weglegen. Irgendwie haben wir das noch nicht richtig gelernt. Ich auch noch nicht hundertprozentig, abends sitze ich doch vorm Fernseher und lösche nebenbei E-Mails, weil ich denke, dann habe ich am nächsten Morgen weniger zu tun.
Die Fragen stellte Simone Kaempf
PROF. WOLFGANG PRINZ ist Professor für Informatik an der RWTH Aachen und leitet als stellvertretender Institutsleiter am Fraunhofer FIT den Forschungsbereich Kooperationssysteme. Dort werden Projekte für die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung durch den Einsatz von Mixed Reality, flexiblen Kommunikationsinfrastrukturen und auch Blockchain-Technologien realisiert, um Unternehmen bei der Digitalen Transformation zu unterstützen. Link zur Homeoffice-Studie des Fraunhofer FIT, die von April 2020 bis März 2021 stattfand.