Grundlagen/Wissen

vom Yasemin Yilmaz Fotos Anna Seibel / Neue Sammlung Pinakothek der Moderne

Design beeinflusst die Gesellschaft!

Design ist nur Schein und Styling? Von wegen. Friedrich von Borries stellt in der Münchner Ausstellung "Politics of Design. Design of Politics" das Bild auf den Kopf und sagt: Design hat Gesellschaft schon immer gestaltet und beeinflusst.

Friedrich von Borries, Kurator der Ausstellung, beschreibt den Prozess des Entwerfens als Gegenteil von Unterwerfen und sieht darin die Möglichkeit, sich aus einem Zustand der Unterworfenheit zu befreien. Seine These, die er auch in seinem letzten Buch "Weltentwerfen" ausführte, kehrt die politische Komponente von Design hervor und möchte junge Gestalter dazu aufrufen, sich auch diesem Teil ihrer Arbeit bewusst zu werden. Der Kurator ist nämlich nicht nur Künstler und Architekt, sondern vor allem Professor für Designtheorie an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg HFBK.

 

Betritt der Besucher der Neuen Sammlung in München den ersten Raum der Ausstellung sieht er zuerst einmal Autos. Vielleicht nicht das, was man zunächst von einer designkritischen Ausstellung erwarten würde. Setzt man sich aber näher mit Borries auseinander wird klar, dass Autos wie der VW Käfer (hier mit einer rausgestreckten roten Zunge) wichtige Produkte der Designgeschichte sind. Borries bezeichnet "das Zeitalter des Designs als Zeitalter der Mobilisierung." Weil Massen von Menschen in Bewegung gesetzt wurden. Anhand des Käfers verdeutlicht er, dass das Design des Wagens an sich unpolitisch war, aber auf verschiedene Weise instrumentalisiert wurde. Als KDF-Wagen war er zunächst ein Versprechen für eine nationalsozialistisch orientierte Zukunft. Später wurde er Symbol für das westdeutsche Wirtschaftswunder und eine um Ausgleich bemühte Demokratie. In Nordamerika stand der Käfer für Unangepasstheit und wurde zum Symbol der Hippiekultur. Borries macht das forschungsversprechende Design des Wagens dafür verantwortlich, dass er sich für verschiedenste politische Projektionen nutzen ließ. Heißt auch, dass Design nie unschuldig ist, immer Entscheidungen für oder gegen etwas trifft, für ein Material oder dagegen, für eine Form oder dagegen.

 

Borries bringt in der Ausstellung viele ikonographische Design-Gegenstände zusammen. Beim Schlendern durch die großzügigen Räume der Pinakothek der Moderne gibt es auch den obligatorischen Raum mit Stühlen und Sitzgelegenheiten aus verschiedenen Epochen. Hier wird das Sitzen als solches thematisiert. Sitzen trennt Besitzende und Besitzlose. Historisch betrachtet, haben Herrscher schon immer gesessen, wohingegen ihre Arbeiter meist auf dem Boden kniend oder stehend vortreten durften. Als Instrument gegen diese Disziplinierung stellt er dem Stuhl eine Rutsche gegenüber, die für die Ausstellung in Zusammenarbeit mit Thonet entstanden ist. Sie symbolisiert den spielerischen Übergang vom Sitzen zum Stehen. 

Mit einem Augenzwinkern werden aktuelle Themen wie Digitalisierung behandelt. Dabei wird vor allem der Ausstellungsbesucher selbst dazu aufgerufen, sein eigenes Konsumverhalten zu hinterfragen. Wer genau hinsehen mag, wird die vielen Hinweise entdecken, die Design und Designern eine politische Verantwortung abverlangen.

 

Design ist keine freie, sondern eine angewandte Kunst, die von Auftraggebern abhängig ist. Wer in diesem Bewusstsein handelt, wird merken, dass man Teil eines herrschenden Systems ist. Eine Aufgabe des Designs ist es, gesellschaftlichen Zusammenhang zu schaffen und dafür einen gestalterischen Ausdruck zu finden. Egal, wie groß die eigene Wohnung sein mag, es gibt einen gesellschaftlichen Standard, an dem man sich orientieren kann. Wer sich die Inszenierung dieser Gedanken anschauen möchte, hat noch bis zum 29. September dieses Jahres Gelegenheit dazu.

"Politics of Design. Design of Politics", Neue Sammlung Pinakothek der Moderne München, bis 29. September
www.pinakothek.de
www.friedrichvonborries.de
Interview mit Friedrich von Borries im Podcast von Monopol auf Spotify

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