Grundlagen/Wissen

von Yasemin Yilmaz Fotos Sou Fujimoto, Tomohiro Hata

Traditionelle Ethik und moderne Ästhetik: Wie man in Tokio auf wenig Platz wohnt

Das Leben in einer Metropole bedeutet Wohnen auf kleinem Raum. Tokio ist die größte Stadt der Welt, was jeden Zentimeter Wohnraum kostbar macht. Trotzdem ist es nach wie vor üblich, Einfamilienhäuser zu bauen. Aufgrund der Baubeschränkungen in stark urbanisierten Gebieten sind diese Stadthäuser in der Regel viel kleiner als bei uns. Mehr über die Small Houses von Yasemin Yilmaz, Studentin der Innenarchitektur in Halle, die derzeit ein Auslandssemester in Tokio verbringt.

Aus westlicher Sicht ist es vielleicht nicht auf Anhieb nachvollziehbar, warum diese kleinen japanischen Häuser komfortable Orte zum Leben sind. Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen, um nicht nur den Charme, sondern auch die außergewöhnliche Kreativität hinter den kleinen Häusern zu verstehen.

 

Natürlich wurden nicht alle diese Häuser von namhaften Architekten entworfen. Ein Großteil der Einfamilienhäuser besteht aus standardisierten Fertigmaterialien. Tokio hat eine bewegte Bau-Geschichte hinter sich. Das Kanto-Erdbeben von 1923 zerstörte einen Großteil der Stadt. Auch von den Luftangriffen der amerikanischen Besatzung im Jahr 1945 waren etliche Gebäude betroffen. Nach dem 2. Weltkrieg gab es große Wohnungsprobleme, hinzu kam ein Bevölkerungswachstum und der Zuzug aus ländlichen Gegenden. Ab den 50er Jahren startete der Wiederaufbau, den man rückblickend als Geburtstunde für eine neue Architektur betrachten kann.

 

Die japanische Regierung unterstützte den Wunsch nach Eigenheimen durch finanzielle Förderung beim Bau neuer Häuser. Die kontinuierliche Erneuerung des städtischen Umfelds und die schnelle Umsetzung neuer architektonischer Ideen ermöglichte es jungen Architekten, in dieser Zeit neue Konzepte auszuprobieren und viel zu bauen. Dies war der Karrierestart für viele berühmte Architekten wie Tadao Ando und Toyo Ito, die in den 1970er Jahren mit Wohnprojekten begannen. Weil Platz und Budget knapp bemessen waren und es nach wie vor sind, mussten Architekten kreative Individuallösungen entwickeln. In kleineren Projekten gab es mehr Freiraum für Experimente, die später in größeren Projekte wie Museen oder Bürogebäuden weiter entwickelt wurden.

 

In der Nachkriegszeit, als sich auch in Japan die kulturelle Identität verjüngte und modernisierte, etablierte sich die Bewegung der Metabolisten. Radikale Ideen für den Wiederaufbau stark zerstörter Städte waren gefragt, zumal sie futuristische Visionen boten und Japan unter hohem Bevölkerungsdruck stand. Die Metabolisten lehnten Anleihen traditioneller japanische Stile ab und griffen auf andere gängige Konzepte zurück, wie vorgefertigte Bauelemente und ständige Erneuerung als Basis. Der Nakagin Capsule Tower ist ein solches Beispiel. Als Wohn- und Bürogebäude sollte das funktionale Interieur vor allem den pendelnden Arbeitnehmern zur Seite stehen und möglichst alle täglichen Ansprüche kompakt erfüllen.

(Fotos: Oben das Slope House von Tomohiro Hata in Kobe. Das untere Foto zeigt das Wooden House, mit dem der Architekt Sou Fujimoto bekannt wurde.)

Die Architektur in Japan ist nach 1945 aber weitgehend von einer großen Affinität zur Moderne geprägt, obwohl einige ihrer stilistischen Merkmale bereits in der traditionellen Architektur etabliert waren. Wie zum Beispiel die Innen- und Außendurchlässigkeit der Häuser. Hell gefüllte, offene Innenräume mit einem Gefühl von Großzügigkeit sind in traditionellen japanischen Häusern eine Selbstverständlichkeit, da die Räume tagsüber ihre Funktion mehrfach ändern und Schiebetüren bzw. Raumteiler (shōji) den Raum unterschiedlich strukturieren.

 

Die Verwendung moderner Materialien wie Stahlbeton und Stahlrahmen sind als modernistisches Elemente hinzugekommen und betonendie horizontalen Linien eines Gebäudes. Auch bei den traditionellen Häusern wurde auf eine funktionale Konstruktion geachtet, die so viel Tageslicht wie möglich zulässt. Das Tange House des Architekten Kenzo Tange von 1953 ist ein Beispiel für diesen Stilmix.

(Fotos: Das Tange House aus dem Jahr 1953)

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