Trends/Messen

von Yasemin Yilmaz Fotos Studio Adjective

Möbeldesign als Neuanfang

Das Möbellabel Ishinomaki Lab stammt aus der gleichnamigen japanischen Region, die 2011 vom Erdbeben und Tsunami stark betroffen war. Aus der Anfangsidee eines Hilfs- und Do-it-yourself-Projekts hat sich beispielhaft ein eigenes Möbellabel entwickelt, dessen Produkte mittlerweile auch in Europa produziert und vertrieben werden.

Es gibt ruhige Regionen auf der Welt, und es gibt Japan. Naturkatastrophen suchen dieses Land öfter heim als anderswo. Der Grund für die häufigen Erdbeben und die damit einhergehenden Tsunamis liegt in der geografischen Lage der Insel, in der verstärkt seismische und vulkanische Aktivitäten vorkommen.

 

Das Tōhoku-Erdbeben von 2011 mit einer Magnitude von 9,0 zählte zu den stärksten Beben, die jemals gemessen wurden. Betroffen war vor allem der Osten des Inselstaats, wo Tsunami-Flutwellen über 500 km² der japanischen Pazifikküste überfluteten. Mehr als 600.000 Menschen waren von dem Ereignis betroffen, 400.000 Gebäude wurden vollständig zerstört und über 15.000 Menschen verloren bei der Katastrophe ihr Leben. Auch wenn dieses Ereignis schon einige Jahre zurückliegt, sind die Spuren der Naturkatastrophe noch heute sichtbar. Wie man einen kompletten Neuanfang wagt und dabei ein innovatives Designlabel auf die Beine stellt, dafür ist das Ishinomaki Lab ein Beispiel.

 

(Fotos: Ishinomaki Lab Möbel im Galleon Urban Roaster Café in Hongkong. Darunter die AA Stoll Serie, die als Stühle, Hocker oder als Stützen für eine Bank einsetzbar sind, und der Kobo Tisch und Stuhl des Labels, c: Studio Adjective, Yosuke Owashi)

Ishinomaki ist eine Großstadt in der Präfektur Miyagi und liegt auf der japanischen Hauptinsel Honshū knapp 400 km nördlich von Tokio. Anlässlich des Erdbebens wurde das Ishinomaki Lab 2011 als einfache, öffentliche Werkstatt für die lokale Gemeinschaft gegründet, um den betroffenen Menschen beim Wiederaufbau ihrer Stadt zu helfen.

 

Keiji Ashizawa ist Architekt und hat sein Büro in Tokio. Kurz vor dem Erdbeben hatte er ein Restaurant in Ishinomaki fertig gestellt. Nach dem Beben versuchte er einige Tag den Besitzer des Restaurants zu erreichen, um zu hören wie es ihm und seiner Familie ergangen sei. Die Familie hatte die Katastrophe glücklicherweise überlebt, das neue Restaurant war jedoch komplett zerstört. Der Tsunami hatte ein Boot quer durch eine Wand des Gebäudes gespült.

 

Keiji Ashizawa wollte den Betroffenen helfen, fuhr regelmäßig nach Ishinomaki und half beim Aufräumen und Wiederaufbau der Stadt. Dabei realisierte er schnell, dass den Menschen mit Werkzeugen und einigen Schulungen am besten geholfen sei. Das war die Geburtsstunde des Ishinomaki Labs. Nach den grundlegenden Aufräumarbeiten fanden einige DIY-Workshops statt, die Restaurierung und Renovierung lokaler Geschäfte wurde vorangetrieben und es entstanden neue Räume, in denen die Menschen die Zukunft ihrer Stadt gemeinsam neu gestalten konnten.

 

(Fotos: DIY Workshop des Ishinomaki Lab mit Bewohnern von Notunterkünften im Jahr 2011, und Workshop mit Kindern im Disaster Risk Reduction Learning Center Yokohama)

Einer der Höhepunkte der ersten Tage war die Zusammenarbeit mit Schülern der örtlichen High School, die über 40 Bänke für ein Freiluftkino bauten. Im Herbst 2011 schloss sich der Möbelhersteller Herman Miller dem Hilfsprogramm an und richtete in Zusammenarbeit mit dem Ishinomaki Lab Möbelwerkstätten für Einheimische ein und hielt Workshops ab. Die entstandenen Möbel wurden den Betroffenen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Diese designorientierten Workshops, in denen Handwerk und kreative Ideen ausgetauscht wurden, werden auch heute noch regelmäßig durchgeführt.

 

Mittlerweile hat sich das einstige Hilfsprogramm zu einem eigenständigen Label mit selbstständiger Produktion und eignen Designs entwickelt. Produziert wird noch immer in Ishinomaki mit lokalen Schreinern und heimischen Hölzern.

 

(Fotos: Von Keiji Ashizawa entworfene und von Ishinomaki produzierte Möbel für das Harajuku Cafe Dotcom Space Tokyo im Frühjahr 2019. Dreibeinige Hocker und Stühle überwiegen. c: Takumi Ota)

Die Entstehungsgeschichte des Ishinomaki Labs ist noch immer in der Philosophie des Möbelherstellers spürbar. Alle Entwürfe sind konstruktiv simpel gehalten und von den gegebenen Arbeitsmöglichkeiten inspiriert. Schrauben werden sichtbar gezeigt und die Stabilität jedes Möbelstücks steht im Vordergrund, um eine möglichst lange Haltbarkeit zu garantieren.

 

Die einfache Konstruktion und das Material an sich stehen im Fokus der funktionalen Schönheit. Dabei gilt die Devise nichts zu entwerfen, das nicht gebaut werden kann. Die Designs stammen von verschiedenen Architekten und Designern aus aller Welt und sind nicht explizit Japanisch, obwohl die Art und Weise der Verarbeitung und die Materialwahl Holz sehr vom historischen Japan inspiriert sind.

 

(Fotos: Open!Furniture-Project im Jahr 2018 und die Werkstatt des Ishinomaki Lab. c: Ryuichiro Suzuki / Monster Smith: Hirotsugu Hoshikawa)

Dem Ishinomaki Lab ist es wichtig, sich auf die Herkunft zu besinnen, was allein im Namen des Labels schon sehr deutlich wird. Dank Kooperationen mit anderen japanischen Herstellern wie Karimoku, der für seine fachmännische Holzverarbeitungen bekannt ist, probiert das Ishinomaki Lab neue Wege zu gehen und die Potenziale der Designs voll auszuschöpfen. Trotzdem bleiben die Wurzeln der Gründung ein wichtiges Thema des Labs.

 

Aus der sozialen und humanitären Not entstanden, gibt das Ishinomaki Lab viele Workshops, ist mit Talks auf der ganzen Welt unterwegs und versucht den Gedanken eines sozialen Designs auf verschiedenen Kanälen in die Welt zu tragen. Mit dieser Botschaft sind sie mittlerweile auch in Europa unterwegs und haben auch in Deutschland Workshops gehalten.

 

www.ishinomaki-lab.org

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