Statement/Interview

Simone Kaempf Fotos WeWork Yanping Lu Coworking Offices - Shanghai

Skype-Calls mit dem Chef

Remote-Arbeit, Home-Working, ortsunabhängiges Arbeiten – immer mehr Unternehmen ermöglichen mobiles Arbeiten ob von Zuhause oder unterwegs. Damit mobiles Arbeiten funktioniert, braucht es nicht nur Vertrauen und Selbst-Disziplin, sondern ein Mind-Set der Unternehmenskultur, sagt Nadja Mütterlein, Personalerin bei der Robert Bosch GmbH und Gründerin des Start-Up Remote Talents, das Unternehmen und deren Angestellte in der Transformation zur digitalen Arbeitskultur berät. 

In einem Pilotversuch reiste Nadja Mütterlein, Jahrgang 1989, selber ein halbes Jahr vor allem durch Europa, Asien und Afrika und arbeitete parallel weiterhin als Personalerin bei Bosch. Ihr Job bestand bis dahin hauptsächlich aus Face-to-face-Meetings. Mobil ließ sich die Arbeit jedoch auch verrichten, via Skype-Calls, Telefonanrufen, e-mails und "viel, wirklich sehr viel Kommunikation", wie Mütterlein sagt. Seit ihrer Rückkehr in diesem Frühjahr arbeitet sie bei Bosch in Spanien. Für die Idee ihres Start-Up Remote Talents wurde sie 2016 mit dem "HR Next Generation Award" ausgezeichnet, einem Preis für Nachwuchspersonaler.

 

Im vergangenen Jahr sind Sie ein halbes Jahr herumgereist und haben Ihren Job als Personalmanagerin bei Bosch in Remote-Work erledigt. Es heißt immer, dass mobiles Arbeiten mehr Selbstdisziplin erfordert. Wie haben Sie sich in dieser Zeit organisiert?

Nadja Mütterlein: Ich habe sowohl in Coworking-Spaces als auch im Café oder zuhause remote gearbeitet, aber auch in Afrika in einem Zelt. Letzteres war natürlich ein extremes Ausprobieren des mobilen Arbeitens. Was ich damit sagen will ist, ich habe remote Arbeiten in den unterschiedlichsten Konstellationen getestet und tatsächlich habe ich es am Anfang unterschätzt. Einen Tag in der Woche Home-Office oder hundert Prozent mobil zu arbeiten, sind völlig andere Dinge. Ich fand für mich aber sehr schnell heraus, in welchem Arbeitsumfeld sich welche Aufgaben gut erledigen lassen. Ich glaube nicht, dass es per se den Coworking-Space-Typus gibt, auch nicht den Ich-arbeite-ausschliesslich-auf-der-Grünfläche-im-Park-Typ. Bei mir ist es absolut aufgabenabhängig, wo und wie ich gerne arbeiten. Das muss man erstmal herausfinden können und dürfen.

Immer mehr Unternehmen fördern mobiles, ortsunabhängiges Arbeiten. Andererseits wurde im Frühjahr bekannt, dass Yahoo und IBM - eigentlich Vorreiter des mobilen Arbeitens - die Mitarbeiter ins Büro zurückordern. Sind das Einzelfälle? Was ist der Stand?
Ich denke, bei Yahoo und IBM war der Sprung zu groß. Man kann einer ganzen Organisation nicht von einem auf den anderen Tag sagen, ihr seid jetzt "frei" und könnt arbeiten, wo und wie ihr wollt. Nicht jeder ist der Typ dafür und weiß, damit umzugehen, und auch die Zusammenarbeit remote will gelernt sein. Dass solche großen Schritte auch nach hinten los gehen können, kann ich nachvollziehen. Mein Anliegen mit der Gründung von Remote Talents hat damit auch wenig zu tun. Ich rechne den Stellenwert von Face-to-face sehr hoch an. Das Thema persönliche Zusammenarbeit bleibt enorm wichtig. Mobiles Arbeiten, vor allem für Mitarbeiter, die längere Zeit unterwegs sind, will gezielt angegangen, begleitet und reflektiert sein. Es geht mir auch gar nicht darum, jeden Mitarbeiter in einen digitalen Nomaden zu transformieren, sondern um Mind-Set in der Arbeitswelt, um Kultur-Veränderung und darum, die Remote Arbeit in sicherem Rahmen erlebbar und möglich zu machen und eben die wichtigen Erfahrungswerte zu sammeln.

Was sind typische Probleme, die auf Seiten der Unternehmen und auf Seiten der Mitarbeiter auftauchen?

Hauptsächlich liegen die Probleme auf Seiten der Unternehmen. Viele Arbeitnehmer kontaktieren mich oder Remote Talents aus reiner Begeisterung für das Konzept. Aber wir müssen auch sehen, aus was für einer jahrzehntelang etablierten Arbeitskultur wir kommen. Aus einer mit klassischen Unternehmens- und Hierarchiestrukturen: ein Mitarbeiter sitzt im Umfeld seiner Führungskraft, jeder hat sich im Auge, man ist sich gegenseitig verfügbar und teilweise auch kontrollierbar. Wenn ein Mitarbeiter nicht mehr bei der Führungskraft oder beim Kollegen sitzt, entsteht häufig im ersten Moment Unsicherheit. Arbeitet der richtig? Passt es mit den Ergebnissen noch? Wie schaffe ich es, mit ihm zu kommunizieren? Kann ich immer noch Zusammenarbeiten wie bisher? Veränderung und Mind-Set Change braucht Zeit und deshalb ist es so wichtig, diesen Change so früh wie möglich anzugehen.

 

Wie wird damit umgegangen? Was sind Lösungen?

Umgehen kann man diese Fragen nicht, es geht darum praktisch zu erfahren, wie es gehen kann. Und ganz gezielt Tools zu nutzen, die das virtuelle Arbeiten unterstützen. Firmen, die das ganz gut angehen, arbeiten in erster Linie mit Skype for Business, somit auch vielen Video-Calls, generell viel mit Anrufen und anderen Collaborationtools und Apps. Damit kann man super zusammen arbeiten und seine Arbeit sehr effizient gestalten. Mein eigener Job als Personalerin bestand fast nur aus Face-to-face-Meetings. Als ich aufbrach kam ich von einem Extrem ins andere Extrem. Zusätzlich hatte ich auch noch drei Praktikanten geführt, da galt es, sich mit Skype-Calls, Anrufen und viel, viel Kommunikation zu helfen.


Welche Hilfestellungen gab Bosch, damit das mobile Arbeiten funktionieren konnte?

Ich war die Pusherin, die den Schritt in das "Working while traveling" machen wollte. Über Facebook bin auf ein Remote-Programm gestoßen. Überraschenderweise wurde ich genommen. Ich wollte den Pilotversuch für meine eigene Perspektive, aber auch um Personalwesen als aktiven Gestalter in den Wandel miteinzubringen. Bosch fand das ungewöhnlich, war aber bereit es auszuprobieren. Das war eine unglaubliche Wertschätzung und Vertrauen, die mir mein Unternehmen da entgegengebracht hat. Ich glaube, generell bei den meisten unbekannten Sachen ist das eine richtige Herangehensweise: nicht zu blocken, sondern zu sagen, wir probieren es in einem absteckten Rahmen aus und sammeln Erfahrungen. Danach können wir nur schlauer sein. Ich habe mehrere Monate als HR Business Partnerin gearbeitet. Aber tatsächlich muss ich sagen: Ein Jahr lang überhaupt keinen face to face Kontakt zu meinen Führungskräften und Mitarbeitern zu haben, wäre sicherlich keine gute Idee. Und ohne den Vorabkontakt mit den Führungskräften, den ich fast zwei Jahre hatte, wäre das Ergebnis sicherlich auch nicht so toll geglückt. Dennoch: temporär ist einiges möglich, selbst in solch einem Job. Es geht darum Lösungen zu finden und auszuprobieren.


Das klingt, als sei viel Aufwand und individuelle Vereinbarungen nötig. Aber der Trend zum mobilen Arbeiten wächst weiter, oder?

Die Arbeitswelt wird sich noch viel mehr verändern. Mobiles Arbeiten nimmt zu. Sei es nur aus den Gründen, Arbeitsplatzpotential zu nutzen. Wenn man an einem unattraktiven Standort beispielsweise auf dem Land einen Super-ITler sucht und etwa einen findet, der in Hamburg sitzt, dann muss man sich zwangsläufig über Remote-Arbeit Gedanken machen. Die digitale Transformation gibt uns viele Möglichkeiten, zwingt uns aber auch dazu, dass wir diesen Trends zügig begegnen. Aus Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmersicht können wir nur gewinnen, wenn wir das ordentlich angehen. Und dafür habe ich Remote Talents gegründet. Die Idee ist aber nicht, dass keiner mehr im Büro sitzt, ganz und gar nicht. Wir müssen offener sein und wissen, wie man virtuell gut zusammenarbeitet. Wenn ein Unternehmen derzeit das Modell 'Einen-Tag-in-der-Woche-Home-Office' in Deutschland anbietet, gilt das schon als ganz tolles mobile Mind-Set. Was aber vergleichsweise wenig ist zu dem, was möglich ist und kommen wird.


Was sind die nachgefragten Modelle? Wollen die Mitarbeiter die Möglichkeit erhalten, zuhause zu arbeiten? Wollen sie lieber eine zeitlang herumreisen?

Es gibt sicherlich verschiedene Zielgruppen. Ich betrachte das Thema zwar auch aus meiner Generation-Y-Brille, sage aber ganz klar: das Thema remote Arbeiten ist völlig Generationen-unabhängig. Wir haben sehr viel Arbeitsmarkt-Potential, das wir uns aktuell kaputt machen, weil wir remote nicht nutzen. Denken Sie nur mal an qualifizierte Mütter, die gerne arbeiten würden, aber ein "normaler" Büroalltag mit festen Strukturen, Arbeitszeiten und Fahrtzeiten das nicht zulässt. Remote kann hier eine tolle Lösung sein. Auf der anderen Seite ist es auch ein Lebensphasen-Thema, jemand der jünger ist, etwas von der Welt sehen will und noch keine Kinder hat, für den hat Herumreisen einen hohen Stellenwert – der muss sich nicht zwischen Karriere und Reisen entscheiden. Denn es geht beides. Das Thema "Weltsehen" spiegelt sich dann auch viel im Alter wieder. Auf Reisen habe ich sehr viele digitale Nomaden 50plus kennengelernt und mich ausgetauscht.


Wie wichtig ist es, dass mobil arbeitende Mitarbeiter im Unternehmen einen festen Arbeitsplatz behalten?
Ich glaube, weniger wichtig. Es geht nicht um das Wissen, dass irgendwo noch ein Quadratmeter Schreibtisch auf einen wartet. Sondern darum, dass es überhaupt einen Ort gibt, an dem man seine Kollegen sehen kann und ich auf Kollegen aus meinen Unternehmen treffe. Wichtig ist für die künftige Bürogestaltung aus meiner Sicht, dass Mitarbeiter verschiedene Tätigkeiten in verschiedenen Umfeldern lieber oder effizienter erledigen können. Ich selbst sitze zum Beispiel gerne am Tisch, wenn ich mit Papier, Rechnungen und Excel-Tabellen arbeite. Wenn im Büro nur noch Lounge-Ecken existieren, in dem sich solche Tätigkeiten nicht mehr wiederfinden, dann wirds kritisch. Für kreatives Denken, Lösungen finden oder konzeptionelles Arbeiten brauche ich hingegen idealerweise Freiheit in Raum und Ausblick und gerne auch frische Luft. Man muss darauf achten, welches Umfeld die Menschen für ihre Tätigkeiten brauchen. Aber auch das muss jeder erst einmal rausfinden können.

NADJA MÜTTERLEIN, Jahrgang 1989, ist Personalerin bei Bosch, derzeit nach Spanien entsendet, und Co-Geschäftsführerin von Remote Talents.

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