Statement/Interview

Interview Melina Hau Fotos Bernadette Grimmenstein, Interface

Mehr Natur, bitte!

In Deutschland arbeiten nach Angaben des Human Spaces Report von Interface 84 Prozent der Menschen in einer städtischen Umgebung, und die meiste Arbeitszeit verbringen wir in Innenräumen, oft ohne Kontakt zur Natur. 43 Prozent der Deutschen sollen laut des Berichts keine Grünbepflanzung am Arbeitsplatz haben, 41 Prozent haben nicht einmal natürliches Tageslicht. Biophiles Design will bei der Gebäudeplanung die Verbindung zur Natur schaffen und bedeutet weit mehr als nur Büro-Botanik. Wir sprachen darüber mit Anne Salditt von der Firma Interface.

Biophiles Design - der Psychoanalytiker Erich Fromm führte den Begriff Biophilie 1964 ein (bios = Leben, philia = Liebe). Die Idee ist simpel: Der Mensch braucht die Verbindung zur Natur. Zunächst klingt das eher nach Feng-Shui, aber überträgt man die Ideen auf das Büro wird klar, dass die halb vertrocknete Yucca-Palme in der Ecke des Büros nur wenig zur Work-Life-Balance beiträgt.

 

Grundsätzlich geht es beim biophilen Design nicht nur um Pflanzen im Büro, sondern darum, die Sinne des Menschen durch die Natur oder ihre Imitation zu reizen und damit die Konzentration anzuregen. Natürlicher Lichteinfall, direkter Kontakt mit der Natur, fließende Übergänge zwischen Innen- und Außenraum, (Innen-)Architektur mit natürlichen Mustern sowie die Verwendung von nachhaltigen Materialien sind nur einige Mittel, um naturnah zu gestalten.

 

Wie aber setzt man biophiles Design bei der Büroplanung um? Mehr darüber von Anne Salditt von Interface, Hersteller für textile Bodenfliesen. 2016 ist der Krefelder Firmensitz in den Mies van der Rohe Business Park gezogen. Das Firmengebäude ist der einzige Industriebau von Mies van der Rohe und wurde im Zuge der Sanierung nach biophilen Maßstäben umgebaut.

 

2016 wurde Ihr neues Firmengebäude in Krefeld eröffnet. Die Sanierung erfolgte nach biophilen Vorgaben. Wie wurde das konkret umgesetzt?
Anne Salditt: Wir sind dabei nach den 14 Patterns of Design von Terrapin Bright Green vorgegangen. Dabei wird in drei Kategorien gearbeitet. Die erste befasst sich mit Natur im Raum, also Wasser, Holz, Stein und auch dem Ausblick in die Natur. Die zweite Kategorie bezieht sich auf Analogien zur Natur also alles, was die sie imitiert, beispielsweise durch verschiedene Florhöhen bei Teppichen, die das Gefühl eines Waldbodens vermitteln können oder andere biomorphe Strukturen. Die dritte Kategorie ist etwas abstrakter und beschreibt die Charakteristik des Raumes, ob es Rückzugsorte gibt, ob ich mich gut orientieren kann usw. Das alles ist beim Menschen genetisch veranlagt und entspricht seinem Bedürfnis nach Sicherheit, Rückzug und Übersicht.

 

Das Gebäude ist der einzige Industriebau von Mies van der Rohe. War es eine besondere Herausforderung, die geradlinigen Strukturen des Gebäudes zu wahren und gleichzeitig das biophile Design einzubeziehen?
Eigentlich passen die Bauweise des Gebäudes und das biophile Design sehr gut zusammen. Die Architektur des Raumes wurde innerhalb der orthogonalen Strukturen auf jeden Fall gewürdigt und diese Strukturen bieten ein gutes Grundraster. Aber sie bieten auch eine gute Möglichkeit, um mit diesem Raster zu brechen beispielsweise durch runde Möbelstücke, wie die "meet and greet" Theke, die eine geschwungene Form hat. Das Konzept des Gebäudes, mit der Vollverglasung, entspricht sowieso der Gestaltungsidee und wir haben zusätzlich noch Wände entfernt, was wieder neue Blickachsen in die Natur schafft.

Biophiles Design soll eine kreativere Arbeitsumgebung schaffen, zu mehr Konzentration anregen und Stress reduzieren. Nachdem das Gebäude nun seit zwei Jahren in Nutzung ist: sind das nur Mythen oder gab es da Verbesserungen bei den Mitarbeitern?
Wir haben das Projekt unter anderem von der Uni Würzburg begleiten lassen und die Büroumgebung wurde wesentlich besser bewertet als im alten Büro. Auch von den Besuchern bekommen wir ein deutlich besseres Feedback. Seitdem wir in diesem Gebäude sind, gibt es unter den Mitarbeitern auch ein schöneres Miteinander. Gemeinsames Mittagessen, Grillen oder Videoabende, wir merken, dass die Kollegen sich gerne hier aufhalten.

 

Wie passt so ein Firmensitz denn eigentlich nach Krefeld?
Krefeld ist durchaus ein passender Ort, schließlich heißt er nicht grundlos "Ort wie aus Samt und Seide". Es war mal die reichste Stadt Deutschlands und das lag an der Textilindustrie. Die Architektur auf dem Gelände der ehemaligen VerSeidAG ist auch etwas sehr besonderes (Die Vereinigte Seidenweberei Aktien Gesellschaft befand sich seit 1930 auf dem Gelände und beherbergt Gebäude von Mies van der Rohe und dem Bauhausschüler Erich Holthoff). Manchmal kommen Leute, die vor vierzig Jahren hier gearbeitet haben und freuen sich, das der Ort wiederbelebt wird. Schlussendlich tragen wir auch Verantwortung für die Mitarbeiter, die hier leben und Krefeld ist unsere Heimat.


ANNE SALDITT ist Marketing Director Central Europe bei Interface und war in der Bauphase Teil des Führungsteams.

14 Patterns of Biophilic Design

Eine Einführung in Biophilic Design von Interface

Wunderbarer Wandel – der Mies van der Rohe Business Park, Detail.de vom 1. März 2017

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