Statement/Interview

Interview mit Gestalter Klaus Michel

Raus aus der Ecke

Der vierte VARIO Design Competition ist gestartet. Thema ist das Home Office. Denn bei guten, sinnvollen Lösungen für Arbeitsplätze auf kleinem Raum oder intelligenten Mehrfach-Nutzungen ist noch Luft nach oben. Zwar macht das Cloffice gerade vielfotografiert Karriere in den sozialen Netzwerken, aber oft bleibt es dort in die Ecke verbannt.

Wie holt man den Arbeitsplatz zuhause raus aus der Ecke? Oder gleich ins Badezimmer, das die meiste Zeit des Tages ungenutzt bleibt. Wie geht es anders? Gesucht sind beim vierten VARIO Design Competition Möbel und Objekte, die temporäres Arbeiten von zu Hause aus ermöglichen. Vor allem da, wo eigene große Arbeitszimmer fehlen, sondern die Räume eher kleiner sind, die Verhältnisse beengt und Mehrfachnutzung sinnvoll und möglich ist. Mehr von VARIO-Gestalter Klaus Michel, der den Wettbewerb mitinitiiert hat.
 

Sind die Erfahrungen des vergangenen Jahres, das pandemiebedingte Arbeiten in die Ausschreibung eingeflossen?
Ja, klar. Das ist mit Auslöser für die Aufgabe. Die Studierenden haben mit dem Home Office eigene Erfahrung gesammelt, stehen und standen unter unterschiedlichsten Zwängen und mussten die Arbeits-Situationen mit anderen zusammen ganz neu erfahren. Am interessantesten war für mich, wie wir während des plötzlichen Losrennens erstmal alle das Laufen lernen mussten: zoom, miro, slack – und wie die ganze neuen tools heißen, in einer rasenden Geschwindigkeit haben wir uns das angeeignet. Und dabei haben und hatten alle immer Nachsicht mit der Lernkurve aller Beteiligten – nervt zwar manchmal, aber die zu beobachtende Demut und Nachsicht ist gleichermaßen schön.

Arbeiten zuhause bedeutet vor allem, den Arbeitsplatz in eine Umgebung zu integrieren, die auch anderen Nutzungen unterliegt?
Genau. Man hat kein eigenes Arbeitszimmer oder ein Büro im eigenen Haus, sondern arbeitet von zuhause in einer Umgebung, die dem eigentlich nicht entspricht. Das ist die Herausforderung.

Die in Ecken integrierten Arbeitsplätze haben eine ganz eigene Karriere hingelegt. Aber was geht sonst noch? Was ist Stand? In welche Richtungen kann man andere Lösungen denken, was zirkuliert bereits in den Köpfen?
Was auf jeden Fall dazu gekommen ist, sind die ganzen Video-Calls. Vor fünf Jahren hatte noch niemand geahnt, dass wir Videokonferenzen mit unseren eigentlich einfachen Devices erledigen. Videocalls sind das wirklich Neue und Interessante, das dem Ganzen einen neuen Drive gibt. Und dazu kommt natürlich, dass man Papier zwar noch hat, aber niemand mehr riesengroße Schränke braucht oder will. Unser komplettes Dokumentenmanagement ändert sich in kleinen Schritten hin zur absoluten Digitalisierung. Das ermöglicht uns auch in der Zwei-Zimmer-Wohnung sein komplettes Büro aufzuschlagen.

Ideen in diese Richtungen wurden auch schon beim vergangenen Wettbewerb eingereicht, die Arbeiten auf kleinstem Raum oder digitale Hintergründe thematisieren.
Wenn man als Student klug die Ergebnisse des letzten Wettbewerbs analysiert, kann man sich da schon gute Anregungen holen. Und Überlappungen, die Themen wie Leben und Arbeiten unter einen Hut bringen, wird es immer bei Wettbewerben geben.
 

(Bild: Leo Dammers und Emil Fohrers Entwurf "WTF Wall Table Furniture" gewann den ersten Preis des VARIO Design Competition 2020. WTF ist eine Trennwand, die zum Stehtisch umklappbar ist.)


Wird die Mehrfachnutzung von Räumen oder Dingen in Zukunft noch wichtiger werden?
Während wir gerade telefonieren, haben wir zum Beispiel ein Gerät in der Hand, dass ganz vieles kann. Das hätte man früher nie gedacht, dass sich sehr gegensätzlichen Funktionen alle in einem Objekt vereinbaren lassen. Hierbei handelt es sich aber um schnelllebige Konsumgüter, der Innovationdruck ist ein ganz anderer als im kostenintensiven und eher konservativen Immobiliensektor. Wohnraum wird immer teurer, ob zur Miete oder zum Kauf. Ich denke schon, dass wir daher Räume haben werden, in denen Dinge vielfach nutzbar sein müssen. Aufgrund der Wohnsituation in den Städten bleibt einem nichts anderes übrig. Auf der anderen Seite gibt es natürlich die Sehnsucht nach Dingen, die gar nichts können oder nur eins können und das vielleicht auch noch schlecht. Die gegenteilige Ausprägung gehört ja immer mit dazu – das Eine haben und das Andere wollen – so sind wir Menschen nun mal gestrickt. Home office lässt sich daher auch noch ganz anders denken, dass man nämlich gar nicht unbedingt mehr zuhause arbeiten wird, sondern in der Ferne arbeitet, sich aber viel besser mit zuhause vernetzen kann.

Der Sieger-Entwurf des vergangenen Jahres ging ganz klar in diese Richtung: der Stehtisch, den man zur Trennwand hochklappen kann und umgekehrt. Eigentlich eine ganz alte Idee, die variiert wurde für die Arbeitsplatzgestaltung. In die Richtung gedacht könnten sehr schöne Ideen herauskommen.
Man kann in viele Richtungen denken, wenn Wohnungen sehr klein sind, womöglich noch mit Partner und Kindern geteilt werden. Warum zum Beispiel ist der Arbeitsplatz nicht im Bad, in der Dusche, oder warum ist der Arbeitsplatz nicht im Gang. Überall gibt es die Räume, die nur eine Stunde täglich genutzt werden oder zumindest viele Stunden leer stehen. Und das ist doch eigentlich Unsinn. Wenn man genau hinschaut, steckt in den Wohnungen noch relativ viel Potential.

Was ist mit dem Thema Ergonomie? Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage klagt jeder Dritte, der im Homeoffice arbeitet, über gesundheitliche Probleme aufgrund unzureichender Ergonomie. Wie kann man das besser berücksichtigen? 
Videocalls verstärken das Problem ja noch einmal, weil man möglichst nicht herumzappeln sollte bei der Video-Konferenz. Man hat einen schlechten Stuhl, einen ungenügenden Tisch und dann muss man noch still sitzen. Niemand will sich zuhause gerne einen Bürostuhl hinstellen, der ist viel zu raumgreifend. Aufstehen ist eigentlich das Thema: wer jede halbe Stunde aufsteht und sich bewegt, hat weniger Probleme. Das kann man zuhause sehr gut. Aber eben nicht im Meeting, im Augenblick zumindest nicht, vielleicht gibt es dafür Lösungen. Man könnte irgendwie einen Hintergrund erfinden, der das integriert oder unauffällig macht, dass man steht, aufsteht, sich bewegt.

Andererseits ist es aber auch große Mode geworden, unter dem Hashtag #Cloffice seine Arbeitsecke zu zeigen, in der Regel auch sehr dekorativ gestaltet. Was steckt da doch an Potential drin?
Mit der Arbeitsrealität hat das aus meiner Sicht nichts zu tun. Man kann eine Ecke fürs Foto gut inszenieren und dekorativ aufwerten, aber für mich ist das ein Instagram-Ding. In die Ecke arbeiten macht doch keinen Spaß. Wenn der Raum noch so klein ist, schaut man lieber aus der Ecke raus als in die Ecke rein. Und auch wenn man vom Rechner aufblickt, über den Rechnerrand, dann sieht man doch lieber ins Weite, ins Licht, in den Hof, in die Bäume...

KLAUS MICHEL, Jahrgang 1963, ist Designer und Professor an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Innenarchitektur, Furniture and Interior Design. Für VARIO entwarf er verschiedene Tisch-, Schrank- und Wandsysteme.

Mehr zur Ausschreibung: Einsendeschluss ist der 1. Juni 2021. Die Jury trifft sich am 22. Juni. Im August werden die Siegerentwürfe in der Musterwerkstatt umgesetzt. Die Präsentation und Preisverleihung findet im September statt. 
 

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